Stadtmacher beim 12. Münchner Handelsimmobilientag
Die Entwicklung des öffentlichen Raumes und der Einkaufsflächen, neue Nutzungsarten sowie die Transformation der Handelsbranche – all diese Themen umtreiben derzeit viele deutsche Städte. Der 12. Münchner Handelsimmobilientag (12. M’HIT) mit dem Titel „Transformation auf Stadt- und Objektebene – Wie kann der Branchenmix neu gestaltet werden?“ am 19. Oktober 2021 hat Antworten auf bestehende Herausforderungen gegeben. Rund zwanzig Referenten waren vertreten – darunter Hanna Rancke von den Coburger Stadtmachern als Impulsgeberin für die Innenstadtentwicklung.
Der Fachtag wird jährlich von der BBE Handelsimmobilienberatung GmbH, der IPH Handelsimmobilien GmbH und der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen/ Immobilienwirtschaft ausgerichtet und spricht Branchenvertreter:innen aus ganz Deutschland an. Spürbar war die Freude am persönlichen Austausch der Teilnehmer:innen, was durch die Präsenzveranstaltung nach langer Zeit wieder möglich war.
Bildquelle: BBE Handelsimmobilienberatung GmbH
Städte brauchen viel mehr Kommunikation mit allen Immobilien- und Handelsakteur:innen, betonte Timm Jehne von der BBE Handelsberatung. Gefragt sind qualifizierte Vermittler:innen zwischen den Bedürfnissen von Eigentümer:innen, Investor:innen, Mieter:innen, Kommunen und den Menschen. Verbünde wie die Coburger Stadtmacher sind wichtig, um deutsche Städte vor der Verödung zu bewahren, denn die Veränderungen vor allem in der Handelslandschaft schlagen immer heftiger durch. Joachim Stumpf leitete die 12. M’HIT damit ein, dass die bedeutende Frage sei, wie Immobilieneigentümer:innen, Investore:innen und Handelsmanagement auf die Veränderungen reagieren. „Es gibt Lösungen, aber keine Patentlösungen.“, so die Botschaft vom Geschäftsführer von BBE und IPH Joachim Stumpf. Viel individuelle und lokale Analyse ist notwendig, um Standorte, Quartiere oder Städte an die neuen Zeiten anzupassen. Bei den Kommunen ist Flexibilität und die Überwindung bürokratischer Hürden gefragt. Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnissen der Menschen im Einzugsgebiet. Denn diese betreffen verstärkt Bereiche wie Coworking, Kindergärten, Gesundheits-, Pflege-, Freizeit-, Wohn- und Kulturangebote. „Es gibt in Zukunft immer weniger Bedarf an Nonfood-Einzelhandelsfläche“, lautet die Prognose von Stumpf. „Wir müssen und können relativ genau berechnen, wie viel Handel eine Stadt künftig braucht.“
Diskutiert wurde, wie Städte nach dem Coronastillstand wiederbelebt werden können – das war das Thema der Podiumsdiskussion „Funktion, Kommunikation und Attraktion neu denken“ auf dem 12. Münchner Handelsimmobilientag. Die Städte haben noch lange nicht wieder die Kundenfrequenzen wie im Jahr 2019, beklagte David Thomas vom Münchner Textiltraditionshaus Hirmer GmbH & Co. KG. Jetzt gehe es darum, wie sich die Städte neu aufstellen. Das Einkaufsverhalten der Menschen hat sich durch Corona verändert, so sind etwa klassische Business-Anzüge weniger gefragt. „Wir müssen uns jetzt noch mehr auf die Kunden fokussieren.“ Eine weitere Forderung von Thomas: Junge Handels- und Unterhaltungskonzepte müssen heute digital sichtbar sein. Bleibt aber auch der Handel, der kreativer werden muss mit neuen Konzepten, die die Menschen in die Innenstädte ziehen. Thomas‘ Vision für moderne Stadtentwicklung: „Man muss den Spirit einer Stadt erleben.“ Die Menschen wollen in ihren Städten nicht mehr nur Einkaufen. „Gerade nach Corona überwiegen soziale Komponenten, Kunst- und Kulturangebote werden gesucht“, so die Erfahrung der Coburger Stadtmacher. Die große Beteiligung beim Projekt „Zwischenzeit Steinweg“ im aktuellen Sanierungsgebiet der Coburger Innenstadt verdeutlicht die Nachfrage. Neun Leerstände rund um den Steinweg, die bald saniert werden, werden aktuell von Künstler:innen, Student:innen und Kreativschaffenden genutzt. Bei diesen städtischen Gebäuden haben die Stadtmacher freie Handhabe. Doch die Veränderungsbereitschaft der Eigentümer:innen und Händler:innen stößt oft schnell an bürokratische Grenzen. „Warum brauche ich eine Baugenehmigung, wenn ich ein Textilgeschäft durch einen Gastronomiebetrieb ersetzen will?“, lautete die rhetorische Frage von Iris Schöberl, Managing Director bei BMO Real Estate Partners Germany. Die direkte Antwort von Ingrid Simet, Ministerialdirigentin im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr: „Nutzungsmischung birgt auch Konflikte. Städte und Kommunen müssen daher wissen, was sich die Eigentümer vorstellen. Dann ist zu prüfen, ob das umzusetzen ist. Ich glaube, in der Coronazeit ist schon viel in Gang gesetzt worden. Städte haben jetzt ein hohes Interesse daran, Gas zu geben.“ Bürokratie setzt Veränderungswillen oft Grenzen. Grundsätzlich sollen Behörden an gemischte Quartiere denken. „Wenn es dort nur Einzelhandel gibt, ist am Wochenende, wenn die Läden geschlossen sind, kein Leben mehr“, mahnt die Ministerialdirigentin. Die Coronakrise hat offenbar bewirkt, dass auf allen Ebenen die Kompromissbereitschaft im Sinne von umsetzbaren und marktgerechten Lösungen gestiegen ist. So sieht es auch Joachim Stumpf: „Die Kräfteverhältnisse zwischen Mieter/Vermieter und Immobilienwirtschaft/Kommune haben sich neu justiert, oder sogar angeglichen, im Sinne von ‚wir sitzen in einem Boot‘ und müssen gemeinsame Lösungen finden.“ Auch Hirmer-Manager Thomas ist noch nicht zufrieden mit den Behörden und sehnt sich etwa nach einfacheren Genehmigungsverfahren für Innenstadtveranstaltungen an Sonntagen. Von Verbandsseite kommen Impulse für die Makroebene, etwa einem geplanten Leerstandskataster vom Bayerischen Handelsverband (HBE). Es braucht Datenbanken mit Informationen nicht nur über unvermietete Läden, sondern auch über Umbaumöglichkeiten der Objekte, wie schnell können Flächen vermietet werden, wie ist die Frequenz vor Ort und, welche Branche am Standort sinnvoll ist. „Solche Fragen können einfach beantwortet werden, wenn es in jeder Stadt einen zentralen Ansprechpartner gäbe“, sagt Simone Streller, Geschäftsführerin Standort, Verkehr, Bildung beim HBE. Iris Schöberl, BMO Real Estate Partners Germany, thematisiert die Problematik bei der Zusammenarbeit zwischen Eigentümer und Stadtverwaltung: „Es gibt bei mir einen automatischen Widerstand, wenn mir eine Kommune erklären will, was ich auf meiner Fläche zu vermieten habe.“ Sie rät Städten und Kommunen dringend dazu, bei Fragen zur Immobiliennutzung Beratung von unabhängigen Handelsexperten einzuholen.
Vorgestellt wurden Mixed Use Beispiele, durch die die Transformation von Handelsimmobilien in Quartieren bereits begonnen hat: Die Macherei in München und das Stadtquartier Gerber in Stuttgart, wo eine Hotel und Coworking-Fläche geschaffen wird, sind nur zwei der zahlreich genannten Best Practices. Mit der Mischnutzung reagiert Betreiber IPH des Gerber Viertels auf den Überhang an Handelsfläche bei gleichzeitigem Mangel an Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort. Auch die Supermarktketten denken ihre Läden um und haben Konzepte erarbeitet. REWE Green Farming in Wiesbaden und der Aldi-Markt im Düsseldorfer Gebäudekomplex und Freiraumgefüge Kö-Bogen sind nur zwei der zahlreich genannten Formate aus der Nahversorgung.
Über „Zukunftsszenarien für die Nahversorgung in neuen Wohngebieten“ sprachen Katja Meqdam (BBE) und Markus Wotrube (BPD). „Wohnen ist noch wichtiger geworden, als es bisher schon war“, so die klare Erkenntnis aus einer gemeinsamen Studie. Die Menschen schätzen im Wohnquartier Gastronomie mehr als Nahversorgung, die in einem Zentrum gebündelt werden sollte. Außerdem gewünscht: Paketboxen, Platz für Veranstaltungen sowie nachhaltige Bebauung mit viel Grün und Möglichkeiten für „Urban Gardening“. Unvermeidlich sind auch die Gewährleistung von guter Logistik und Mobilität. Anlieferungen müssen reibungslos möglich sein. Heißt: Die Menschen haben heute hohe Ansprüche.
Das Programm des 12. M‘ HIT mit einer Übersicht der Referierenden und Vortragsthemen ist hier einsehbar.